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Der Florentiner Hut

Bis heute begeistert das Stück das Publikum und hat nichts von seiner ansteckenden Heiterkeit verloren. Die Aufführung im MiR trägt diesem Erbe in vielen Elementen Rechnung. Seien es die Reminiszenzen an das 19. Jahrhundert mit dem aufgemalten Theatervorhang als Kulisse – die wie ein Moritatengesang über ein Bettuch flimmernden Zwischentitel im Stil der Stummfilme oder die an die 1930er Jahre erinnernden Kostüme der Darsteller. Dazu kommt die Doppeldeutigkeit der Szenen, in denen weitaus mehr steckt als nur die Absicht, einen Lacher im Publikum zu produzieren.


Die Einbindung der deutschen Erstaufführung von Nino Rotas Mini-Oper „Die Fahrschule“ von 1959 entwirft einen kuriosen Prolog, der vordergründig die Hauptfiguren aus „Der Florentiner Hut“ erklärt. Doch die virtuosen Anspielungen in Rotas Opernkunst und der funkensprühenden Schauspiel- und Sangeskunst des MiR-Ensembles stellen klar, dass es hintergründig um das folgenschwere Geflecht aus Erotik und Verführung geht, das die eigentliche Ursache für die Verwicklungen im „Florentiner Hut“ darstellt.

Schon in der Eingangsszene offenbart sich, welche Art „Fahrschule“ dem jungen Mann vorschwebt, als er wie ein Schmetterling von Blume zu Blume taumelt und sie alle in seinem toonartigen Gefährt als Liebesnest vernascht. Erst bei der Begegnung mit Elena, die er ob ihrer Kleidung und ihres Verhaltens als leichte Beute einstuft – verliert der Lebemann überraschend sein Herz. Daran ändert sich auch nichts, als Elenas erboster Vater samt mafioser Entourage ihn zur Ehe zwingt.

Mit dem fußkranken Schwiegervater in spe ist dem MiR ein genialer Coup gelungen, denn die Filmmusik zu Francis Ford Coppolas Film „Der Pate“ von 1972 ist das berühmteste Werk des Komponisten Nino Rota. Fadinards frühere Gespielinnen geraten sich derweil so in die Haare, dass die eine den Florentiner Hut der anderen in Fetzen reißt. Worauf der der geplagte Mann beschließt, anstelle des gefährlichen Autos nur noch das Pferd zu nehmen. In einer herrlich überzogenen Pantomime entdeckt sein Diener Félice am Morgen die Beweise der Liebesnacht, zupft das Tuch mit spitzen Fingern vom Bett und wäscht demonstrativ den verräterischen Fleck aus. Danach dient das auf der Wäscheleine trocknende Betttuch als Projektionsfläche für die Vorstellung der Charaktere und eine trickfilmhafte Zusammenfassung der Ereignisse bis zum Tag der Hochzeit. So entsteht ein fließender Übergang, der ohne aufwendigen Kulissenwechsel auskommt und das Publikum erneut in Fadinards Schlafzimmer abholt. Wieder geben die Bemühungen seines Dieners, die amouröse Vergangenheit seines Herrn aus dem Schlafzimmer und somit aus dem Blickfeld der Hochzeitsgesellschaft zu entfernen, einen Einblick in Fadinards Privatgewohnheiten. Felices übertriebenes Gebaren in Reaktion auf bestimmte Szenen – wie den Priester, der ahnungslos mit der Fernbedienung das Pferdeporträt über dem Hochzeitsbett gegen das Gemälde einer nackten Frau austauscht – erweckt den irrigen Eindruck, er wisse über alles Bescheid. Da er dies jedoch nicht tut und wie alle anderen Fadinards tauben Onkel Vézinet für einen absonderlichen Kauz hält, entgeht ihm die wichtigste Information des Tages.

Dass Fadinard gleiches tut, lässt sich durch den zuvor erlittenen Schock entschuldigen. Er kann im Moment einfach nicht richtig zuhören. Derart immer wieder in eine Ecke gedrängt, fortgeschoben oder schlichtweg übersehen, wandert Vézinet als heimliche Schlüsselfigur durch alle Szenen, bis er schließlich an Luftballons hängend entschwebt und kurz vor dem drohenden katastrophalen Ende mit einem wahren Donnerschlag wie ein rettender Engel niederfährt.

Fadinard selbst hat – so macht es „Die Fahrschule“ glauben – bereits vor der geplanten Hochzeit eine Wandlung durchgemacht. Die Erkenntnis, in Elena sein Gegenstück gefunden zu haben, hat ihn so verändert, dass seine Suche nach dem richtigen Florentiner Hut umso verzweifelter ist. Man wünscht ihm, dass er nun endlich heiraten kann – amüsiert sich aber auch prächtig, wenn er erneut von seiner Vergangenheit eingeholt wird und dadurch in immer perfidere Situationen gerät.

Besonders komisch sind sein Bittgesuch bei der die Saturnalien feiern wollenden, lüsternen Baronessa oder der Versuch das in seinem Haus versteckte Liebespaar aus dem Blickfeld Elenas und ihres Vaters herauszuhalten. Je größer Fadinards Not wird, desto bewundernswerter ist seine Standhaftigkeit. Die gleiche Standhaftigkeit beweist auch seine Braut. Sei die Situation auch noch so stressig, noch so ungünstig – sogar als mit ihrer Schwangerschaft ihr eigener Sündenfall offenbar wird – sie hält zu ihrem Auserwählten.

Man möchte Beifall klatschen, so gut ist die Entwicklung Elenas vom staunenden Naivchen zur in sich ruhenden Frau gelungen. Erst kurz vor dem Happyend gerät ihr fester Glauben an Fadinards Liebe ins Wanken. Denn just in dem Moment, als Frau Beaupertuis sich mit einem Kuss für Fadinards Anstrengungen um ihre Ehrenrettung bedankt, trabt sein Pferd auf die Bühne und frisst den züchtig vor ihre Köpfe gehaltenen Florentiner Hut auf. Als Elena ihrem „untreuen“ Liebsten schließlich vergibt, liegt es vielleicht an der Erkenntnis, dass der Schein oft trügt.