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Ruhrtriennale bietet verschiedenste Zugänge zur Kunst. Eröffnung am 10. August mit Shakespeare

Kurz vor Beginn der Ruhrtriennale 2023 am Donnerstag, 10. August stellten Intendantin Barbara Frey und Team Programmschwerpunkte in der gestrigen Auftakt-Pressekonferenz im Landschaftspark Duisburg-Nord in den Mittelpunkt. Mit großer Vorfreude blicken sie auf das knapp siebenwöchige Festival. Bis Samstag, 23. September zieht das jährliche Festival der Metropole Ruhr – verortet an den Schnittstellen von Musiktheater, Schauspiel, Konzert, Tanz, Bildender Kunst, Literatur, Dialog und Film – in eine Vielzahl von ehemaligen Industriemonumenten der Städte Bochum, Dortmund, Duisburg und Essen ein.


„Wir sind froh, die Kunst gemeinsam mit unserem Publikum und den eingeladenen Kunstschaffenden, von denen uns viele über die drei Jahre kontinuierlich begleiten, feiern zu können! Mit Neugier und Freude, mit Nachdenklichkeit und Gelächter, in freundschaftlicher Nähe und Komplizenschaft stellt die Kunst die drängenden Fragen unserer Gegenwart“, so Barbara Frey über ihre dritte und turnusgemäß letzte Festivalausgabe.

Als „Stück der Stunde“ bezeichnet Barbara Frey Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“, als Eröffnungspremiere ab dem 10. August in der gewaltigen Dimension der Kraftzentrale im Landschaftspark Duisburg-Nord beheimatet. Die inszenierende Intendantin fragt danach, was uns das Stück über unsere krisengeschüttelte Zeit erzählt, konfrontiert es uns doch mit den Zumutungen des Kontrollverlustes und der Unschärfe zwischen Realität und Wahn. Erneut in Zusammenarbeit mit dem Burgtheater Wien und dessen herausragendem künstlerischen Ensemble lotet Barbara Frey nicht nur das spielerische Potenzial des Stückes aus, sondern fragt nach der Gegenwärtigkeit des Stoffes. Die letzte Premiere von Barbara Frey im Rahmen ihrer Intendanz findet ab dem 20. September in der Mischanlage auf Zollverein Essen statt: Mit Dostojewskis furiosem Monolog „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ begegnet das Publikum der Schauspielerin Nina Hoss.

In ein Kammermusiktheater der Sinne begeben sich Georges Aperghis und der Schriftsteller Jean-Christophe Bailly in „Die Erdfabrik“ mit vier Musiker:innen und einer Sängerin auf eine imaginäre Reise ins Innere der Erde. Aperghis, eine der prägendsten Figuren des zeitgenössischen Musiktheaters und für sein Lebenswerk mit dem Ernst von Siemens-Musikpreis geehrt, entwickelt für die Ruhrtriennale ein musiktheatrales Gedicht über die Dunkelheit, Nacht und Stille „unter Tage“ – als Uraufführung ab dem 11. August in der Gebläsehalle des Landschaftspark Duisburg-Nord zu erleben.

Mit großer Neugier wird das zweite Musiktheater des diesjährigen Festivals erwartet: Dostojewskis „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“ dienten Leoš Janáček als Vorlage zu seiner letzten Oper „Aus einem Totenhaus“. Starregisseur und Bühnenbildner Dmitri Tcherniakov verlegt Janáčeks Oper ab dem 31. August als begehbare Bühneninstallation in die gewaltige Dimension der Bochumer Jahrhunderthalle. Mit der Auflösung der Trennung zwischen Bühne und Tribüne wird das Publikum Teil der erbarmungslosen Gefängniswelt. Der Dirigent Dennis Russell Davies leitet eine hochkarätige internationale Sängerbesetzung, darunter Johan Reuter, Stephan Rügamer, John Daszak, Leigh Melrose sowie Neil Shicoff, die Bochumer Symphoniker und den Chor der Janáček-Oper Brünn durch das künstlerische Abenteuer.

„Skatepark“ von Mette Ingvartsen für ein Dutzend Tänzern und Skatern setzt am Eröffnungswochenende den ersten Höhepunkt der Sparte Tanz und ist eine Feier der Lebensfreude. Ausgehend von der besonderen Energie der Skateboard-Community verbindet die Choreografin Skateboarding, Elemente des Urbanen Tanzes sowie Sport mit einer treibenden Musik zu einem vitalen Miteinander – ab dem 12. August als Deutschlandpremiere in der Bochumer Jahrhunderthalle.

Am Ende einer durchfeierten Nacht: Gisèle Vienne betreibt in ihrer jüngsten Arbeit „EXTRA LIFE“ die Archäologie eines einzigen Augenblicks. Die international hoch geschätzte Regisseurin und Choreografin stellt das nächtliche Wiedersehen zweier Geschwister, die eine traumatische Familiengeschichte verbindet, in den Mittelpunkt. Spiel, Sound und Licht verschränken sich zu einer dichten, einzigartigen Bühnensprache von großer Sinnlichkeit – als Uraufführung der Sparte Schauspiel ab dem 16. August im Salzlager auf Zollverein in Essen zu sehen. Ergänzend: zwei Filme über Viennes Werk im Metropolis Kino Bochum.

Die Installation „My Body Is Not An Island“ von Eva Koťátková, ein Beitrag von Urbane Künste Ruhr für die Ruhrtriennale, lädt ab dem 12. August zu einer begehbaren Erlebniswelt in die Kulturkirche Liebfrauen in Duisburg ein. Ein riesiger, fragmentierter Körper – teils Fisch, teils Mensch – füllt den Ort, Kleidungsstücke und Transportkisten treten mit der Nachkriegsarchitektur der ehemals katholischen Pfarrkirche in einen Dialog. „Jetzt & Jetzt“ nennt sich das dritte Projekt des „Gesprächskünstlers“ Mats Staub innerhalb der Ruhrtriennale 2021-2023. 100 Begegnungen mit Menschen aus dem Ruhrgebiet – der jüngste Teilnehmer war zu Projektbeginn neun, die älteste Teilnehmerin ist heute 82 Jahre alt – stehen im Zentrum dieses installativen Langzeitprojekts in der Turbinenhalle an der Jahrhunderthalle Bochum. Sie blickten zwischen 2021 und 2023 auf zwei Momente ihres Lebens und den Wachstumsprozess dazwischen. Das Ticket gilt als Dauerkarte ab dem 24. August bis Laufzeitende am 23. September und bietet Besuchern an, die Gesprächsaufnahmen und lebensgroßen Videoporträts mehrmals zu erkunden.

Zu einem der markantesten Formate der diesjährigen Konzertreihe zählt der zwölfstündige Schlagzeugmarathon, der am 26. August auf PACT Zollverein in Essen dazu einlädt, die reiche Vielfalt der Perkussion zu entdecken. Von ikonischen Werken der Avantgarde bis zu legendären Jazz-Größen wie Marilyn Mazur, Billy Cobham und dem persischen Meister der Tombak und Daf, Mohammad Reza Mortazavi: Mit einem Dutzend Musikern aus unterschiedlichen Kulturen und mit verschiedensten künstlerischen Prägungen erlebt das Publikum die ehemalige Waschkaue auf ganz neue Weise.

Mit der Fortsetzung der Literatur- und Dialogreihe im Maschinenhaus Essen vertieft der Schriftsteller Lukas Bärfuss mit Gästen aus Wissenschaft und Kunst Fragen nach der Natur des Menschen. Die Ruhrtriennale führt damit die Auseinandersetzung mit der „Natur des Menschen“ in doppelter Lesbarkeit in der gleichnamigen Reihe fort: Was ist das Wesen des Menschen? Und welchen Begriff macht er sich von Natur? Am 27. August beginnt die Reihe mit dem Schriftsteller und Historiker Philipp Blom, Autor des Buches „Die Unterwerfung. Anfang und Ende der Herrschaft des Menschen über die Natur“, gefolgt von einer Lesung mit der Schauspielerin Bibiana Beglau und live begleitet von Pollyester.

Seit Beginn der Intendanz von Barbara Frey bespielt die Ruhrtriennale im „Wege“- Projekt Wegstrecken des in verschiedenen Städten des Ruhrgebietes beheimateten Festivals. 2023 führen drei Künstler Gruppen durch die Städte Bochum, Essen und Duisburg und öffnen Augen und Ohren für Unentdecktes. Los geht es am 12. August mit dem Lyriker Stefan Wartenberg und einem literarischen Spaziergang ab der Bochumer Jahrhunderthalle bis zum Kleingartenverein Bergmannsheil. Praktizierte Literatur im öffentlichen Raum!

Die Singer-Songwriterin und Gitarristin Anna Calvi – ihre Zusammenarbeit etwa mit Robert Wilson für seinen „Sandmann“ hat beeindruckt – gastiert am 25. August in der Gießhalle im Duisburger Landschaftspark. Heteronormativen Geschlechtergrenzen erteilt die Britin eine Absage – dies kreativ, kritisch und mit einer Portion feministischem Empowerment.

Programmakzente ab Festival-Halbzeit

Punk und Funk, Blues und Noise – das ist Farida Amadous musikalische Heimat. Stilistisch ist die belgisch-nigerianische E-Bassistin so wandelbar, stand mit den unterschiedlichsten Künstlern auf der Bühne – von Thurston Moore bis Peter Brötzmann. Im Rahmen der MaschinenHausReihe in Essen, das insgesamt vier Konzerte präsentiert, trifft sie am 06. September zum ersten Mal auf die Wiener Band Mopcut.

In dem großdimensionierten Konzert „Play Big!“ treffen Bigband und Sinfonieorchester in der Bochumer Jahrhunderthalle aufeinander: Sofia Gubaidulina nimmt ihr Publikum in ihrer „Revuemusik“ durch skurrile, psychedelische Landschaften mit. Der Komponist Michael Wertmüller – selbst Jazzschlagzeuger und einstmals Orchesterperkussionist – entzündet mit der NDR Bigband und Sinfonietta Basel sowie zwei internationalen Jazzsolisten ein wild-virtuoses „Shlimazl“ in einer Uraufführung. Simon Steen-Andersen treibt es auf die Spitze: Er macht aus dem Klangkörper-Duo mit Chorwerk Ruhr ein „TRIO“, ergänzt durch eine gigantische Videoleinwand, auf der er Beethoven, Händel, Strauss und Swing in rasanten Loops und Collagen zu einer Zeitmaschine zusammenbaut.

Der Szenograf und Regisseur Philippe Quesne zählt zu den international bekanntesten und eigenwilligsten Theatermachern Frankreichs. Seit 20 Jahren entwickelt er mit seiner Gruppe Vivarium Studio eine hoch poetische Bühnensprache. Mit Leichtigkeit und spielerischem Witz verwandelt er existenzielle Fragen unserer Gegenwart in ein theatrales Ereignis, schafft so vieldeutige Universen. Seine jüngste Arbeit „Der Garten der Lüste“ ist durch das gleichnamige Gemälde von Bosch inspiriert und bewegt sich zwischen ökologischer Science-Fiction und zeitgenössischem Western. Quesne – er ist erstmals mit einer Regiearbeit bei der Ruhrtriennale zu sehen – zeigt die Deutschlandpremiere in der Sparte Schauspiel ab dem 07. September in der Kraftzentrale im Duisburger Landschaftspark.

Als Europäische Erstaufführung ab dem 09. September in der Gebläsehalle des Landschaftspark Duisburg-Nord in der Sparte Tanz zu sehen, stellt „The Visitors“ die Auseinandersetzung von 15 jungen Tänzern aus Johannesburg mit Gewalt als auch ihre Selbstermächtigung in das Zentrum. Die argentinische Choreografin Constanza Macras setzt damit die Zusammenarbeit mit dem südafrikanischen Team des Projektes „Hillbrowfication“ fort, das im vergangenen Festival für Standing Ovations sorgte.

„Die Möglichkeit von Zärtlichkeit“ von Teatro La Resentida um den chilenischen Regisseur Marco Layera widmet sich den komplexen Zuschreibungen von Männlichkeit. Gemeinsam mit jungen Darstellern erarbeitet, schließt das Schauspiel an eine ältere Arbeit an, in der weiblich gelesene Heranwachsende ihre Sozialisation thematisierten und bei der Ruhrtriennale 2021 begeisterten. Mit seiner jüngsten Arbeit ist ein wahrhaftiges Stück zu erwarten, in dem Layera Fragen nach Erwartung und Verfestigung von Zuschreibungen stellt, in einer Uraufführung ab dem 14. September auf PACT Zollverein in Essen zu sehen.

Als eine pulsierende Reise durch die Nacht versteht sich „The Third Room X Florentina Holzinger“ am 16. September in der Jahrhunderthalle Bochum. Zwei Ambient/Electronica-Konzerten sowie experimentellen Live-Sets folgen die Action-Happenings „Étude for a bell“ von Florentina Holzinger. Die international gefeierte Ausnahme-Choreografin inszeniert nicht nur die Höhen der Jahrhunderthalle, sondern auch die Kirchenglocke als musikalischen Klangkörper. Ein DJ-Line-up mit Daniel Avery b2b François X sowie – als spektakuläres Finish – mit Surgeon b2b Lady Starlight lädt bis in die Morgenstunden zu einem Rave ein. Das Line-up wurde mit dem Essener Kollektiv „The Third Room“ kuratiert.

Als Ort der Begegnung lädt die Pappelwaldkantine mit der Festivalbibliothek ab dem 11. August wieder unter die Flimm’schen Pappeln an der Bochumer Jahrhunderthalle ein. Der Festivalcampus mit Studierenden von 14 europäischen Hochschulen sowie das Projekt TEENS IN THE HOUSE der Jungen Triennale sind weitere Formate, die den Dialog suchen.

Der Festivalkatalog 2023 ist soeben erschienen, ist kostenfrei erhältlich und als Download verfügbar. Die mehr als 220 Seiten beinhalten einen Magazinteil mit einer Vielzahl von Beiträgen rund um die Produktionen des Festivals sowie eine Bildstrecke des Kollektivs loekenfranke. Beginnend mit der ersten Spielzeit von Barbara Frey beauftragte die Ruhrtriennale Kunstschaffende, sowohl die Bildstrecke des Katalogs als auch die Key Visuals des Corporate Designs des jährlichen Festivals zu gestalten. 2021 stammten die Fotos von Tobias Zielony, 2022 von Mischa Leinkauf. 2023 hat loekenfranke Menschengruppen und deren Blick auf die Natur ins Bild gerückt. Eine Retrospektive würdigt die Filme des in Witten ansässigen Kollektivs ab dem 12. August im Bochumer Metropolis Kino.

Geplant sind 34 Produktionen und Projekte, darunter 13 Eigen- und Koproduktionen, fünf Uraufführungen, eine Europäische und acht Deutsche Erstaufführungen. Das Festival mit 113 Veranstaltungen, das an zwölf Orten in den Städten Bochum, Dortmund, Duisburg und Essen stattfindet, beteiligt mehr als 600 Kunstschaffende aus über 35 Ländern. Publikumsgespräche sowie weitere vermittelnde Angebote flankieren die Veranstaltungen.

Die Ruhrtriennale 2023 hat rund 34.000 Karten im Angebot, ergänzt durch Formate bei freiem Eintritt. Ticketpatenschaften, viele Ermäßigungen sowie die Aktion „Bring your friends“, die für jedes Vollpreis-Ticket bei ausgewählten Veranstaltungen bis zu drei weitere ermäßigte Tickets beinhaltet, ergänzen das Angebot, um möglichst vielen Menschen das Festival zugänglich zu machen. Alles unter www.ruhrtriennale.de