Als 2003 Rudolf Buchbinder mit den Wiener Symphonikern alle Klavierkonzerte Beethovens an einem Tag aufführte, hatte dies zum Ziel, im Verlauf aller fünf Konzerte die Veränderung des Verhältnisses von Soloinstrument und Orchester hören und beobachten zu können. Ein musikalisches Abenteuer, so schrieb seinerzeit die Wiener Presse. Beim Klavierfestival Ruhr 2022 hat sich Jan Liesicki mit dem Chamber Orchestra of Europe an zwei Spielorten, der Historischen Stadthalle Wuppertal und dem Konzerthaus Dortmund auf eben diesen musikalischen Abenteuerpfad begeben.
Das Chamber Orchestra of Europe (COE) wurde im Jahr 1981 von einer Gruppe junger Musikerinnen und Musiker gegründet, die sich damals im European Community Youth Orchestra (heute: EUYO) kennengelernt hatten. Heute umfasst die Kernbesetzung rund 60 Mitglieder die von den Musiker selbst ausgewählt werden: sie vereint Solisten und Stimmführer namhafter Klangkörper, renommierte Kammermusiker und Musikprofessoren. Ein Klangkörper, dessen Namen nicht nur friedliches Miteinander und Musikzieren programmiert, sondern dies auf klanglich warmen, künstlerisch höchstem Niveau im Zusammenklang mit dem Solisten realisiert.
Jan Liesicki: „Merk dir den Namen“ (Financial Times), „Ein Geschenk, das selten ist, um es zu verschwenden“ (Grammophn magazin), „Unberührt, lyrisch und intelligent“ (The New York Times), „Vielleicht der vollständigste Pianist seiner Zeit“ (BBC- Musikmagazin), das sind nur einige der verbalen Superlative, die diesen 27 Jahre jungen bereits zu den living legends gehörenden kanadischen Pianisten beschreiben. Vollständig trifft es am ehesten, wie er da in Wuppertal und Dortmund die Bühne betritt, bescheiden, bestimmt, mit musikalischer Innigkeit spielend und immer im aufmerksam stillen Zwiegespräch mit dem Orchester, keine großen Gesten erfordernd, antwortend.
In der Regel stürzen sich pianistische Jungstars für ihre ersten Album-Veröffentlichungen auf die virtuosen Giganten des Repertoires: flinke Finger und ein heißes Herz. Wer also, wie Jan Lisiecki, mit seinerzeit gerade einmal 24 Jahren sämtliche Beethoven Klavierkonzerte live einspielt, als Debüt Album beweist gehörigen Mut und Können – zumal der Katalog an herausragenden Einspielungen lang ist. Diese Botschaft Liesickis war in der historischen Stadthalle Wuppertal mit den ersten drei Klavierkonzerten, in historisch korrekter Reihenfolge musiziert, das zweite vor dem ersten, intermittiert von der Ouvertüre zu „Die Geschöpfe des Prometheus“ op .43 herausragend interpretiert vom Chamber Orchestra of Europe als Einmaligkeit zu erleben.
Der Konzertort Wuppertal ist nicht nur nach Sir Simion Rattles Aussage akustisch einen der besten Konzertsäle in der Welt und wie der Musikverein in Wien zu bewerten, wodurch ein historischer Bezug zu den Erstaufführungen der Beethvovenschen Werke besteht. Bedauerlich, dass der zweite Teil des Zyklus nicht auch in diesem besonderen Klangambiente stattfand, dem Zyklus Gedanken, den Künstlern und nicht zuletzt dem Publikum wäre es zugutegekommen.
Dennoch war die musikalisch - menschliche Leistung aller Musiker im Konzerthaus Dortmund beim 4. und 5. Klavierkonzerte G-Dur op.58 und Es-Dur op. 73 nicht weniger konzentriert obwohl unter akustisch deutlich erschwerten Bedingungen ausgeführt. Mit standing ovations dankte das Publikum für einen ganz besonderen Konzertabend.
Das Chambers Orchestra of Europe war zum 4.Mal, Jan Liesicki bereits zum 14. Mal beim Klavierfestival Ruhr zu hören. Auf ein Wiederhören mit diesen „living legends“ unter neuer Intendanz beim Klavierfestivals Ruhr 2023!
ANAPHORA